Zu Zeiten der deutschen Teilung waren Ost und West zwei getrennte Gesellschaften, die nach unterschiedlichen Maßstäben lebten. Auch viele Jahre nach der Wiedervereinigung stellt sich die Frage, ob sich nach der Grenzöffnung auch die Mauer in den Köpfen der Menschen in Luft aufgelöst hat. Sind wir wirklich ein Volk? Oder gibt es immer noch Dinge, die uns voneinander trennen und insbesondere das Liebesleben Ost-West zum Problem machen?
Es war im Spätsommer 1990 als Silvia aus Steinfurt und Alex aus Gera sich in Hamburg kennenlernten. Beide waren zum Studieren in die Hansestadt gekommen und es war Liebe auf den ersten Blick. Dass ihrer beider Herkunft einmal zum Problem werden sollte, damit hätten sie damals nie gerechnet. „Ich muss gestehen, dass ich seinen Akzent schon ein bisschen gewöhnungsbedürftig fand“, sagt Silvia rückblickend. Aber Liebe macht nun einmal blind. Silvias Eltern, die einen gut laufenden Handwerksbetrieb leiteten, hatten Alex gegenüber Vorurteile. Einer aus dem Osten? Das fanden sie komisch. Zumal seine Eltern bis kurz vor der Wende an den sozialistischen Bauernstaat geglaubt hatten. Wenn Silvia und Alex zu ihren Eltern fuhren, spürten sie die unterschwellige Ablehnung – von beiden Seiten. Alex fand Silvias Eltern überheblich, fleißige Handwerker, denen es doch letztlich immer um das Geld ging. Silvia störte sich an den endlosen Tiraden seines Vaters, der sich benachteiligt und abgehängt fühlte. Das belastete die Beziehung schließlich so sehr, dass nur wenige Jahre später die Trennung folgte. „Danach habe ich mir geschworen, nie wieder was mit einem Ossi anzufangen“, lacht Silvia. Seit zwei Jahren ist sie glücklich mit Raik verbandelt. Er stammt aus Mecklenburg und die Beziehung läuft super.
Ob und woran eine Beziehung zerbricht, hängt also gar nicht so sehr davon ab, woher einer der Partner stammt. Sogar binationale Paare aus komplett unterschiedlichen Kulturen können durchaus über lange Jahre glücklich sein. Dafür müssen aber gewisse Dinge stimmen. Oft erwarten wir von unserem Partner, dass er oder sie etwas in uns füllen soll. Das geht natürlich schief, weil wir uns und unser Gegenüber damit schlichtweg überfordern. Wer etwas Gutes und Schönes erleben oder schaffen will, muss auch selbst etwas dafür tun. Als Paar muss man deshalb die gemeinsame Sprache der Liebe finden, auf der die Kommunikation auf vielen Ebenen stattfindet. Ob der Wessi mit der Ossi oder umgekehrt auf einer Welle schwingt und diese auch über lange Zeit hinweg im Gleichklang bleibt, hängt also mehr von den Kompetenzen der Liebenden ab als von deren Herkunft. Silvia hatte nach der Trennung von Alex genug von den Ost-Männern. Natürlich kann man das aber so pauschal nicht sagen: „Raik ist mein Seelenverwandter. Mir ist es völlig gleich, wo er herkommt! Er ist einfach ein Glücksgriff.“ Wieder ein Beweis dafür, dass Vorurteile und stereotypes Denken uns manchmal sogar daran hindern, die Liebe zu finden.
Die Mauer in den Köpfen wird immer kleiner. Umfragen direkt nach der Wiedervereinigung hatten häufig einen geradezu aggressiven Unterton. Dieser wird immer weniger hörbar. Und nun gibt es inzwischen eine neue Generation, die in einem wiedervereinten Deutschland aufgewachsen ist. Für die meisten dieser jungen Menschen ist es völlig egal, ob ihr Partner aus Bremen oder Bayern kommt, aus Sachsen oder Brandenburg. Wenn es zwischen zwei Menschen mal kracht, dann aus Gründen, die viele Beziehungen belasten – vielleicht ist es Eifersucht oder das liebe Geld. Aber die unterschiedliche Herkunft aus Ost oder West ist den meisten letztendlich herzlich egal. Und das ist gut so, denn nur so werden wir wirklich ein Volk der Liebe.